Vorwort
Was ist die ‚Traumzeit‘? In der Mythologie der Ureinwohner Australiens, den Abourigines, gibt es eine Traumzeit. Jeder Mensch macht seine Traumzeit durch. Er wandelt auf ’seinem‘ Pfad, den nur er sehen kann und begegnet dabei seiner eigenen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.
Dies ist einer Schilderung meiner „Traumzeit“
(der ‚Traumpfad‘ wurde begangen, erlebt und aufgeschrieben von Wicky)
Irgendwann Samstag Nachmittags komme ich auf die Rötelbergranch…
…will mal ein bischen mit Dietmar reden… einfach so, ohne Anlass.
Nun ja, Mädchen trudeln ein, teils gebracht von ihren Eltern, teils selbst mit dem Fahrrad oder Auto gekommen. Ich gehe in die Küche… „Servus, bei’nand“ – „‚Servus Wicky, mogst an Kaffääh…“, nehme Platz an dem großen ovalen Tisch, an dem schon Dietmar mit einem mir unbekannten Pärchen sitzt. Dietmar stellt uns kurz vor und sofort geht es weiter in der Unterhaltung. Keine Berührungsangste, einfach reden… ein Mädchen kommt rein, „Hallo Dietmar!“… „…du, d’Christine is schon drausdn und hiod de Pferd von da Koppel“ antwortet Dietmar… „…guat, Pfia eich!“ sagt das Mädchen und geht wieder raus. Ein Katze läuft durch die Küche und bestaunt meinen Hund Laika, der das irgendwie als unangenehm empfindet, aber nicht auf die Katze losgeht, nein, der vergreift sich sodann an dem, am halbfertig gemauertem Kachelofen liegendem, getrocknetem Brot und schleppt es durch die Küche, um alles vollzubröseln…
Das Gespräch wird fortgesetzt, es wird im allgemeinen und überhaupt und wenn dann doch nicht, dann zumindest über… kurz, über alles was die Welt bewegt…
Nach einer Weile stehe ich auf, gehe hinaus… ich will eine Zigarette rauchen… die letzte Zigarette in dieser Küche habe ich vor 14 Jahren geraucht, als Dietmar dort eingezogen ist…
…draußen kommen mehrere Mädchen, ein Junge und Christine mit dem Pferden von der Koppel, binden sie an und bereiten sie für den Ritt vor. Sie holen die Sättel, prüfen die Hufe, kontrollieren, ob alles in Ordnung ist… ich gehe zur Laika (Anm: dem Pferd Laika, weil mein Hund auch Laika heißt), lasse sie erst an meiner Hand riechen, streichle ihre Nase, dann gehe ich in den Stall, hole ein paar Äpfel, halbiere sie und gebe jedem Pferd einen davon. Nebenbei rauche ich meine Zigarette, was die Pferde aber nicht sonderlich mögen…
Es wird natürlich auch mein obligatorischer Kontrollgang durchgeführt, ich schaue, was sich vielleicht geändert hat, und komme ins grübeln…
Früher standen hier Autos und Motorräder rum, es brummte und knatterte… Teile der Stallungen waren kurz vor dem Zusammenbruch…
Und heute? Heute ist das Mittelteil komplett neu aufgebaut, noch nicht fertig, aber der Rohbau steht, das Dach ist fertig eingedeckt, der Heuboden lässt sich schon voll nutzen! In dem besseren Teil der alten Stallungen ist die Möglichkeit, die Pferde unterzubringen, sofern sie nicht auf der Weide sind, wie meist im Sommer. Das wurde schon großzügig gestaltet… Irgendwann wird auch der Mittelteil fertig sein, mit seinen neuen Stallungen… was heißt Stallungen, jedes Pferd wird die Möglichkeit haben, rein und raus zu gehen sooft und wann es will. Soll ja kein Gefängnis werden, wo morgens einer die obere Klappe der Tür aufmacht, damit das Pferd Tageslicht sieht und sich ansonsten kaum umdrehen kann…
…ein Schnauben schreckt mich aus meinen Gedanken auf, die Reiter(innen) haben ihre Pferde fertig, sitzen auf und reiten los… das Wetter ist kühl, aber trocken, eigentlich ideal, weil die Wege der Umgebung trittfest sind. Manchmal denke ich, ob ich nicht doch anfangen sollte, zu reiten… die Vorstellung, vom ersten Tag an durch die Landschaft zu reiten, Wälder aus der Hochsitzperspektive zu sehen, den Kopf einzuziehen, wenn die Äste tief hängen, dann wieder raus, Wiesen, ‚La Montanara‘ für’s Auge… ach irgendwie… ich denke zurück, Jahre her, vor dem Balkankrieg, da bin ich mit einem Zigeuner von Ulcinji bis zur albanischen Grenze geritten… barfuß, durch Disteln, öde, aber schöne Landschaft, rechts das Meer, links kein Haus, kein Mensch, kein Auto… bis zum Grenzfluß… auf dem Rückweg noch ein Stückchen am Strand entlang, mit den Pferden ins Wasser…
Oh, mein Hund ist weg… „Laika, Laika, komm her!“ … ich höre sie irgendwo schnauben, bestimmt durchstöbert sie die Stallungen… schon kommt sie geflitzt… „Guter Hund, brav!“
Ich sehe die alte Bank… die stand immer vor dem Haus… soweit ich weiß, war ich der letzte, der drauf gesessen hat, besser gesagt, nach mir war sie nicht mehr benutzbar! Auf der Bank haben schon viele gesessen, fast alle, die zum Reiten kommen, haben dort schon gesessen…
…wen die Bank reden könnte…
Jetzt steht an ursprünglicher Stelle eine neue Bank… die wird genauso benutzt, wie die alte… auch deren Geschichte wird immer umfangreicher… ich setze mich drauf… lehne mich zurück, wie ich es in den letzten 14 Jahren immer wieder gemacht habe… gute Bank! Mit meinem vorherigen Hund, Sina, habe ich immer zu zweit draufgesessen, ich auf der Bank und Sina auf meinem Schoß… kein Problem? Doch, Sina war eine Boxerhündin, wie auch meine jetzige Hündin Laika, die sich allerdings nur selten überreden lässt, auf meinem Schoß Platz zu nehmen. Nur wenn sie der Meinung ist, der Boden sei zu nass oder zu dreckig, dann soll sich der Alte erstmal hinsetzen… dann kommt, wenn ich schon im Dreck sitze, sie daher!
Das Telefon klingelt, es holt mich aus meinen Gedanken… ich gehe, an Dietmar vorbei, wieder in die Küche, setze mich wieder hin, das Pärchen macht sich langsam auf den Heimweg, steht auf…
Dietmar kommt wieder rein… Abschied nehmen in Roeteltown… heißt gleichzeitig freuen auf das nächste Mal. Die Zwei gehen, Dietmar setzt sich wieder, wir diskutieren über Dinge, die wir gemacht haben, Dinge, die wir gerade machen und Dinge, die wir noch machen wollen…
Jaja, wir zwei sind älter geworden… ein Kadett fährt in den Hof, wir sehen kurz aus dem Fenster, es ist Dietmar’s Mutter… ich kenne sie schon seit fast 25 Jahren… sie war eine streitbare Frau (im positiven Sinne) mittleren Alters, jetzt ist sie eine alte Dame, aber streitbar kann sie immer noch sein und diskutieren kann sie wie der Teufel, wenn man sie auf der Zwölf erwischt! Ach, hat das immer Spaß gemacht, vor allem, wie ich einmal in ihrem Wohnzimmer mit ihrem Lieblinghocker zusammengebrochen bin. Der Hocker war danach reif, aber sie hat es mir nie übel genommen…
Die Küchentür geht auf und sie steckt nur den Kopf rein. „I hob dir a poa Äpfee vorbei’bracht…!“… „Is guat, dank’schön Mam!“ erwidert Dietmar…
Unser Gespräch geht weiter, da klingelt wieder das Telefon… während mein Telefon Samstags eigentlich recht ruhig ist, musste sein Telefon Samstags eigentlich Akkordlohn bekommen. Ist ja klar, die Rötelbergranch (er)lebt ja mit den Reitern die Freizeit. Die meisten haben nunmal am Wochenende Zeit, so daß eben auch Samstags der meiste Betrieb ist…
Ich gehe unterdessen wieder raus. Christine kommt gerade wieder mit der Gruppe zurück, ich sehe auf die Uhr, einundhalb Stunden waren sie draußen…
„Es war einfach so schön da draußen, da sind wir etwas weiter geritten…“ sagt Christine zu mir… Alle gemeinsam machen sich daran, die Pferde abzusatteln, Hufe zu kontrollieren, kurz, sie zu versorgen!
Früher, auf anderen Reithöfen hab ich das immer anders gesehen:
Die Reiter kommen, die Pferde stehen fertig gesattelt da, dann wird exakt eine Stunde geritten und danach werden die Pferde im Istzustand abgegeben…
Kein Wunder, daß sich so ausgebildete Menschen mitunter eine falsche Vorstellung davon machen, wieviel Zeit ein eigenes Pferd tatsächlich benötigt… Naja, nicht mein Problem… ich sehe den Pferden zu, wie sie das genießen, schmusen wollen…
Michaela kommt vorbei. Sie will sicherlich mit ihrem Pferd Naddel raus… Michaela habe ich irgendwann vor Jahren auf einem Stadtfest in Kelheim kennengelernt. Sie war ein reitbegeistertes Mädchen, daß schon damals verantwortungsvolle Aufgaben übernahm… heute ist sie ein junge Frau, die genau weiß, was sei will…HALT, vielleicht doch nicht, aber auf jeden Fall weiß sie, WAS SIE NICHT WILL! Ich finde das ist fast wichtiger, sich rechtzeitig bewußt zu werden, was man nicht will…
Meine Hündin Laika springt mich an, will spielen, beschäftigt werden… Ihr Schwanz wedelt… meine vorherige Hündin hatte noch einen kupierten Schwanz, Laika nicht. Mir haben schon soviele Leute gute Ratschläge gegeben, wo ich trotz gesetzlichem Verbot den Schwanz von Laika kupieren lassen kann… WIESO EIGENTLICH??? Sehe ich so aus, als wenn meine Hunde misshandelt werden müssten? Die Natur hat meinen Hund so geschaffen, wie er ist und genau so will ich ihn haben und so finde ich es gut! Ich hab lange gebraucht, um so zu denken, aber….
Christine spricht mich an… “ – “ ……….
„Ääh, Christine, pardon, bitte nochmal, ich habe dich jetzt nicht verstanden“… nicht weil ich taub bin, sondern sie hat mich wohl irgendwie aus meinen Gedanken gerissen… deswegen konnte ich ihr nicht folgen…
Der Tag verging. Ich sehe auf die Uhr… schon so spät? Ich bekomme ein schlechtes Gewissen und mache mich auf den Heimweg…
Plötzlich, als ich mit dem Auto vom Hof fuhr, meinte ich, genau an Einfahrt kurz einen fast durchsichtigen weißen Schleiher zu sehen! Ist das die Wand, die alle meine Sorgen, Nöte und alltäglichen, ach so wichtigen Gedanken draußen hält? Oder hält sie meine ‚Traumzeit‘ hier bereit für’s nächste Mal, so daß sie nie ganz endet?
hdx