Fachausdruck ist Expertenschmuck!

Überall schießen Reiterhöfe aus dem Boden, entsprechend groß muss demnach auch die Nachfrage sein. Und ja, immer mehr Menschen in unserem Land dürfen sich stolze Pferdebesitzer nennen, die Zahlen steigen und steigen.

Somit sieht man auch eine Vielzahl diverser Reitstile wie…

…den streng disziplinierten Dressurreiter, der sein Pferd durch tägliche Hyperflexion des Halses gymnastiziert.

…den coolen Cowboy, der den ganzen Tag in absoluter Versammlung mit dem Lasso am Sattel durch die Prärie galoppiert.

…den dynamischen Springer, der das ja so natürliche Springvermögen und den Schwung seines Pferdes auf paradiesisch hohen Hindernissen ausreizt.

…oder auch nur den lernfaulen Freizeitreiter, der sein Pferd einmal in der Woche in Dehnungshaltung durchs Gelände latschen lässt.

Und in jedem Bereich des Pferdesports gibt es sogenannte Reitlehrer, Trainer und Ausbilder, die ihr im aus Zeitschriften tiefgründig recherchierten Selbststudium, in durch mehr Schein als Sein bestandenen Reitprüfungen oder in einer modernen Ultrakurzzeitausbildung für den Spezialexperten erlangtes Wissen über die jeweils auf das Pferd und auf den Reitstil zugeschnittenen Reitarten in der Pferdewelt verbreiten.

Das daraus resultierende Phänomen ist eine regelrechte Massen-Mundpropaganda über Bedeutungen besonderer Fachbegriffe, die natürlich nur der vollkommen perfekte Reiter versteht, für den sich anscheinend aber ein jeder hält. Deswegen beginnt der Informationsaustausch im Fachjargon schon bei der Auswahl des Pferdes, denn nicht jedes Pferd ist für jeden Reiter geschaffen!

Man muss vor allem Größe, Statur und Farbe des zu kaufenden Objektes berücksichtigen. Es ist offensichtlich, dass eine zartbesaitete junge Dame ein dynamisches Pferd mit viel Schubkraft benötigt, wie beispielsweise einen feurigen Araber. Ein hochgewachsener und gut gebauter Mann hingegen benötigt ein Exemplar mit genügend Tragkraft, also natürlich im Format extragroß. Und für die Fraktion der pferdebegeisterten Wendy-Leserinnen wäre ein gutmütiges Meterpony genau das richtige, da sich diese in jeder Situation im natürlichen Gleichgewicht befinden. 

Wenn es dann nach der Auswahl des passenden Tieres ums Reiten geht, verschachtelt sich das Begriffslabyrinth ins Unermessliche: Sein Pferd vorwärts – abwärts in eine saubere Dehnungshaltung bringen kann doch jeder! Und so lässt die Mehrzahl dabei einfach die Zügel durchhängen, da das Pferd den Kopf ja eh hängen lässt und den Rest gewiss von selbst macht ?

…auch eine Anlehnung reiten ist Grundvoraussetzung für jeden, der sich auf den Rücken eines Pferdes begibt. Was genau man dafür eigentlich machen muss? Naja, das Pferd eben an den Zügel anlehnen! Und außerdem reiten die Könner unter uns ja sowieso den ganzen Tag in voller Versammlung mit maximaler Aufrichtung. Was das schon wieder heißt? Durch genügend Schwung wird das Pferd anhand entsprechender Hilfen versammelt und untersteht so vollkommen seinem Reiter. 

Ach ja, da sind wir ja schon bei der Hilfengebung – auch ein sehr interessantes Thema: das Wort Hilfengebung beschreibt die Hilfen, die man geben muss, um all die oben genannten Stadien erreichen zu können. Dazu gehören beispielsweise die halben Paraden, die dem Reiter das vorwärts – abwärts in die Tiefe Arbeiten eines Pferdes ermöglichen. Man muss dabei auch nur wechselseitig und am besten schön im Rhythmus des Pferdes an den Zügeln ziehen – wirklich Anfängersache! Dann geben die Profis selbstverständlich Gewichtshilfen und wie der Name schon sagt, muss man sein Gewicht verlagern, wobei es schon mal vorkommen kann, dass man auf dem Pferd mehr an die Schlangenfrauen aus dem Zirkus erinnert!

Und zuletzt noch das Allerwichtigste: das Treiben. Immer wenn man will, dass das Pferd schneller geht muss man beim Treiben kräftig die Hacken reinhauen, am besten auch regelmäßig im Takt des Pferdes und mit Sporen an den frisch polierten Reitstiefeln!

So beschreiben also unsere sogenannten Experten die ganzen Fachbegriffe der Reiterei und wenn dann mal Pferde dabei sind, die immer nur rennen wollen, die man stets bremsen muss oder solche, die nicht vorwärts gehen, die nicht auf oben erklärte Hilfen reagieren oder die sich selbstständig machen, dann hat der liebe Hoppi–Boppi halt mal einen schlechten Tag. Oder er läuft nicht gerne neben dem Gaul von der komischen Einstellerin mit den rosa Reitsocken. Oder er mag kein schlechtes Wetter. Oder er frisst halt gerne. Oder, oder, oder…


Nun ja, was soll man dagegen auch machen? Beliebte Maßnahmen sind das Wechseln der Ausrüstung, vielleicht mag der Hoppi–Boppi ja lieber blaue anstatt gelber Gamaschen und die Kandarre würde auch besser aussehen, die Suche von Alternativen, man schützt seinen empfindlichen Porsche durch Reitstunden in der Halle vor Regen und Kälte, sowie die Leckerli-Methode, der Liebling bekommt einfach vor jeder Lektion oder vor jedem Ausritt eine Hand von selbstgebackenen Öko–Leckerlis, dann funktioniert’s schon!

Wenn das alles nichts nützt kann man seinen Vierbeiner natürlich noch vom Kinesiologen, Chiropraktiker und Osteopathen untersuchen lassen, am besten von allen auf einmal!


So sollten sich jetzt mal alle selbsternannten Trainer und Reitlehrer an den Hut fassen und sich auf Grundlage von Michael Stricks Gedanken „Erst Verstehen verwandelt Vertrautheit in Können“ anfangen zu denken: denn auch Stehenbleiben kann man nur durch Treiben!

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