Professionelle Reiter!?

Vorwort

Dieser Artikel ist im Jahre 2000 erschienen. Die Problematik also weder neu, noch eine ‚Zeiterscheinung‘!

Auch ein Quali-System, wie es momentan im Gespräch ist, schützt nicht vor krankem Ergeiz und Geldgeilheit!

Deswegen, und nur deswegen, weil wir mit dem, was sich in der Disztanzreiterszene mittlerweile abspielt, haben wir uns genötigt gesehen, nachfolgenden Artikel, geschrieben von einem ehemaligem Weltspitzen-Reiter, aus der ‚Klamottenkiste‘ rauszuholen.

Nachdenken und Schlüsse ziehen muß der Leser jedoch selber…

Ist es möglich, 160 km mit mehr als 21 km/h zu reiten? 

Von Sergio Tommasi und Lara Rigato (Italien) [aus Distanz Aktuell]

Vor etlichen Jahren bekamen wir ein amerikanisches Buch über Distanzreiten in die Hände. Es war 1993- und wir waren gerade in den Sport eingestiegen. Wir waren von diesem Buch sehr beeindruckt, in dessen Vorwort ungefähr dieses stand: „Dieses Buch ist den Pferden gewidmet, die am 13. Juni 1987 beim Catoosa-„Selbstmord“-Rennen in Oklahoma starben, durch die Unwissenheit ihrer Reiter. Möge nie wieder ein Pferd so leiden müssen wie diese.“ (America’s Long Distance Challenge von Karen Paulo). 
Einige Jahre sind seither vergangen, aber es scheint, dass niemand diese Worte je gelesen hat. Viele weitere Pferde sind bei Distanzrennen gestorben, für manche wäre der Tod so und so gekommen, bei vielen anderen war es die Schuld ihrer Reiter. 
Der Hauptgrund für diesen „Genocid“ ist die Geschwindigkeit, in der diese Rennen geritten werden. Wenn man ein Pferd über seine Grenzen hinaus treibt, kann seine Bereitwilligkeit zum Tod führen, bevor wir merken, was passiert. Wir sprechen über bestens trainierte Pferde, die so sorgfältig vorbereitet wurden, wie man das mit einem Auto für ein Formel-I-Rennen machen würde. Bei diesen Ritten wird nichts dem Zufall überlassen. 
Bei einem Hundertmeiler, der kürzlich stattfand, dessen Punkte für den Weltcup zählten (mit einem Preisgeld von US$ 400.000), erreichte der Sieger das Ziel nach 7:49 h mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von mehr als 21 km/h. Das ist wahrscheinlich ein neuer Weltrekord. Jeder, der schon an Distanzrennen teilgenommen hat, wird verstehen, was es bedeutet, einen so hohen Durchschnitt zu halten. 
Wenn man einrechnet, dass man zwischendurch auch stehen bleibt, um das Pferd trinken zu lassen, so bedeutet das, dass man teilweise über 30 km/h reiten muß. Wenn man dann noch bedenkt, dass die Pferde zu Beginn des Rennens noch frisch sind und ihre Leistung während des Rittes nachlässt, dann erreicht man teilweise sogar 40 km/h. Fast wie auf der Rennbahn … Nur dass sie nicht auf einer Rennbahn sind und die zurückgelegte Strecke 100 Meilen beträgt. 
Wie ist das möglich? Beachten wir einige Punkte. 1986 gewann Cassandra Schuler mit „Shikos Omar“ die WM in Rom in 10:50:30 h, 1988 gewann Becky Hart mit ihrem legendären „R. O. Grand Sultan (Rio)“ die WM in Fort Valley, Virginia, in 12:51:11 h. 1990 war es wieder Becky Hart, noch immer mit „Rio“, in Stockholm, einer großteils flachen Strecke, in 10:33:29 h. Jetzt ist die Zeit, mit der man einen Hundertmeiler gewinnen kann, um 3 Stunden kürzer geworden. Hart würde jetzt wohl unter den letzten sein. Heißt das, dass wir noch besser werden können? 
Es ist ihre Entscheidung. Es gibt zwei Möglichkeiten. Wir haben viele Artikel in Spezialmagazinen und im Internet über das Training von Distanzpferden geschrieben und darüber, wie wir es machen. Wir reiten kurze Trainingsstrecken jeden zweiten Tag und einen langen Ritt am Wochenende. Dazu machen wir ein bisschen Dressurarbeit, und wir achten besonders auf den Boden und die Entwicklung unserer Pferde. Die Weltklassereiterin Valerie Kanavy hat uns vor etlichen Jahren ein Pferd verkauft. Wir haben sie gefragt, ob sie ein besonders wirkungsvolles Trainingssystem gibt (1993, als sie noch nicht Weltmeisterin war). Mit Verstand und Instinkt passten wir unseren Trainingsprozess jedem Pferd einzeln an, entsprechend seinen Bedürfnissen, Stärken, vor allem mit der größten Sorge um seine Beine. Wir arbeiteten konsequent und erzielten gute Ergebnisse mit mehreren Pferden. Das ist es, was uns „gut bekannt“ machte und der Grund, warum viele Leute mit uns über ihre Probleme und ihre Pläne reden. Wir waren immer sehr offen und haben nie ein Geheimnis daraus gemacht, wie wir mit unseren Pferden arbeiten. 
Dennoch – jetzt sind wir an eine Grenze gelangt. Wir haben nicht die Nerven, sie zu überspringen. Obwohl wir gute Pferde haben, haben wir nicht das Herz, sie aufzufordern, so schnell zu laufen. Das Risiko ist zu hoch. Wenn ein Pferd zu solchen Geschwindigkeiten aufgefordert wird, halten seine Beine nur eine bestimmte Zahl von Saisons. Es scheint aber, dass dies vielen Reitern egal ist und für sie nur zählt, als erster im Ziel zu sein. Wenn alles gut geht, können sie ihr Pferd gut verkaufen und mit dem Geld andere Pferde kaufen …
Um Pferde auf dieses Niveau zu bringen, muß man jeden Tag trainieren. Der Sieger des letzten Weltcup-Rennens sagte, dass er sein Pferd bis zu drei mal am Tag trainiert (jawohl dasselbe Pferd!). Es erübrigt sich, zu sagen, dass alle unsere Theorien und Konzepte der Fürsorge für unsere Pferde damit über Bord geworden werden. Diese Arte von Training bedingt die Bereitstellung von viel mehr Energie, daher einen geänderten Futterplan, der dem eines Rennpferdes nahe kommt. 
Jeder, der schon mal ein Bild von „Rio“ gesehen hat, wird bemerkt haben, wie anders er aussieht im Vergleich zu den heutigen Siegern. „Rio“ ist kurz, mittelgroß, mit einer sehr tiefen Brust. Heutzutage neigen Distanzpferde dazu, immer mehr dem Rennpferdetyp zu entsprechen, lange Beine, langer Körper, groß und aerodynamisch. Manche Leute reiten den Angloaraber, wie er Sieger der EM in Portugal einer war. 
Aber gehen wir zurück zum ursprünglichen Thema und zu den Pferden, die gestorben sind. Es geht das Gerücht, dass auf etlichen Ritten, die in heißen Ländern stattfanden, mehrere Pferde eingegangen sind. Es wird berichtet, dass Pferde buchstäblich zu Boden fielen während des Rittes. Ambulanzfahrzeuge fuhren hin und her, in dem Versuch, so viele wie möglich zu retten. Diejenigen, die überlebten, sind gezeichnet für ihr restliches Leben, und einige werden nie wieder ein Rennen laufen. Wir möchten uns nicht vorstellen, wie ihre Tage beendet werden. Tierärzte haben manchen Tod verschleiert mit kreativen Diagnosen wie Herzinsuffizienz, wovon niemand, nicht einmal der Reiter selbst, etwas wusste. Wir können uns schlecht vorstellen, dass jemand, der an solchen Ritten teilnimmt, nicht die nötig Erfahrung hat, seines Pferdes Zustand zu erkennen und zu verstehen. 
Dennoch – die Tierärzte darf man nicht anklagen. Es ist nicht ihre Schuld, wenn ein Pferd im Vet Gate in Ordnung ist, und in der nächsten Etappe bricht es zusammen. Das Pferd wird durch seinen Reiter geführt, der merken sollte, wenn etwas schief läuft und das Tempo drosseln sollte. Ein Pferd wird uns nicht sagen, dass es kurz vorm Sterben ist. Sein Instinkt, in der Herde zu bleiben, wird dazu führen, dass es bei den anderen bleibt bis es nicht mehr geht. Dieser Typ Reiter glaubt offenbar, wenn alles gut geht, kann das Pferd verkauft werden, man kauft ein neues und probiert wieder. 
In der Hoffnung, dass neue Staaten Geld in diesen armen Sport einbringen und ihn zu seinem rechtmäßigen Platz bei der Olympiade führen, haben Europäer und Amerikaner gleichermaßen ihre besten Pferde und ihre Erfahrung angeboten, sie in die Ritte einbezogen und ihnen damit zu eigenen Siegen verholfen – ungeachtet der Arroganz und Weigerung, die Regeln zu beachten. Diese Länder haben die WM, die EM und unzählige Ritte überall in der Welt gesponsert. Wer traut sich, aufzustehen und ihnen zu sagen: um einen Distanzritt zu reiten, muß man ein guter Reiter sein? Wer wagt es, ihnen zu sagen, dass Regeln beachtet werden müssen und dass es nett wäre, wenn sie sich die Zeit nähmen, an Siegerehrungen oder den Paraden vor einer Meisterschaft teilzunehmen, dass ein gutes Image nicht wehtun würde, dass man, wenn man in ein Vet Gate kommt, sich genauso um sein Pferd kümmern sollte, wie man das zu Hause im Training tut? Niemand traut sich. 
Mit ihrem Geld haben sie unsere Würde und unseren Stolz gekauft.
Wenn der Weg zu den Olympischen Spielen mit den Körpern von toten oder lahmen Pferden gepflastert ist, dann wollen wir nicht weiter gehen. Die FEI muß ihre Position überdenken: sie kann nicht alles aus der Hand geben, nur um eine ausgeglichene Bilanz zu erreichen. Wir haben nichts gegen die Teilnahme dieser Länder. Im Gegenteil, wir sind davon überzeugt, dass wir mit ihrer Hilfe diesen wundervollen Sport weiterentwickeln können. Aber die Regeln müssen sich ändern. So wie es jetzt ist, ruinieren die Durchschnittsgeschwindigkeiten die Beine unserer Pferde, und wir erreichen auch vom Stoffwechsel her ihr Limit. Wenn wir nicht mit „Wegwerf-Pferden“ Rennen reiten wollen, müssen wir die Geschwindigkeit reduzieren. Dafür gibt es zwei Möglichkeiten: entweder werden die Strecken technisch anspruchsvoller, oder wir senken die Pulswerte und die Zeit zum Vorstellen in den Vet Gates (beim Eldric-Meeting in London wurde dieses Thema schon angesprochen). 
Wenn uns ein Journalist fragt, wie man ein Pferd für 100 Meilen vorbereitet, möchten wir gar nicht antworten. Vielleicht sind wir altmodisch und lieben unsere Pferde zu sehr. Wenn wir jemanden zum Sieg führen wollten, würden wir beschreiben, wie man einem Pferd wehtut, und das können wir uns nicht leisten. 

Sergio und Lara

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